Viel wurde und wird lobend nach Kopenhagen geschaut, wenn es um einen fahrradfreundlichen Umbau der Verkehrsinfrastruktur geht und letztlich darum, dass die Einwohner:innen mehr Wege mit dem Rad und weniger mit dem Auto zurücklegen.
Was braucht man dafür?
Standardantwort: Radwege. Radschnellwege. Klingt immer gut. Beinahe jede:r Lokalpolitiker:in verspricht vor Wahlen, mehr Radwege bauen zu wollen, mein eigener OB eingeschlossen.
Was braucht man aber eigentlich?
Eier. Eine Stadtverwaltung braucht dafür Eier. Zumindest in Deutschland. Denn obwohl die Vorteile für eine Kommune auf der Hand liegen, wenn mehr Wege mit Fahrrädern und weniger mit Autos zurückgelegt werden, sieht sie sich sofort einem starken Gegenwind seitens spezieller Interessenvertreter:innen ausgesetzt, sobald es darum geht, motorisierten individuellen Verkehr in Innenstädten einzuschränken und letztlich zu verringern. Horroszenarien werden an die Wand gemalt, dass ja nicht jeder mit dem Fahrrad kommen könne, alle Läden und Restaurants eingehen würden, weil niemand mehr mit dem Auto direkt bis an seinen Platz fahren könne. Es ist schon sehr absurd.
Kopenhagen hatte Eier und hat, soweit ich weiß, durchaus auch gegen Widerstände, die Innenstadt pö á pö vom Autoverkehr entlastet. Die Stadt ging dabei durchaus auch subtil vor, nicht alle Maßnahmen wurden wohl an die große Glocke gehongen. So verschwanden nach und nach immer mehr Parkplätze für Autos oder wurden immer teurer. Gleichzeitig wurde eine Fahrradinfrastruktur geschaffen, die eben nicht nur 2 km Radweg von A nach B beinhaltet, sondern durchdachte Streckenführungen in der gesamten Stadt, bei der die Radfahrer:innen wirklich immer mitgedacht und nicht nur mitgemeint wurden. Dazu kommen unzählige Möglichkeiten, Fahrräder gut abzustellen. An der Station Nørreport, eine der größten Umsteigemöglichkeiten überhaupt in der Stadt, können nach meiner persönlichen Schätzung gut und gerne zehntausende Fahrräder abgestellt werden, ein riesiger Platz, der präpedalisch sicherlich eine große, vierspurige Autosituation gewesen ist.
Und es geht immer weiter. Während unseres Aufenthaltes hat die Stadt mal eben „unsere“ Straße zur Fahrradstraße umgebaut. Verblüffend war dabei nicht nur das Tempo (ernsthaft. 500m in drei Tagen), sondern auch, dass der Umbau ohne weitere Sperrungen auskam. D.h. die ganze Zeit fuhren die Räder weiter fröhlich durch die Baustelle, es waren entsprechende Schilder zur Verkehrsführung aufgestellt, an die sich alle hielten, jeder war fein mit der Baustelle. Im Handumdrehen wurden die Bürgersteige verbreitert und massiv mit Radabstellmöglichkeiten ausgestattet und die Fahrbahn neu asphaltiert.

So radeln sehr viele Menschen durch Kopenhagen. Jung und alt. Zur Arbeit, zur Uni, zur Schule, ins Büro, zum Einkaufen, zu Dates. Im Anzug, im Kleid, in Freizeitkleidung, eher nicht in spezieller Radkleidung. Viele auf Hollandrädern, ich habe nur wenig andere Räder gesehen mit Ausnahme von Lastenrädern, sehr vielen Lastenrädren, die mit sehr viel Geschick und Routine durch die Straßen gelenkt wurden. Die meisten Leute mit Kopfhörern in den Ohren, sehr viele telefonierend. Es gibt so eine Basisgeschwindigkeit, die für die meisten zu passen scheint, recht schnell übrigens, ich würde so 15-18 km/h schätzen. Die Leidensbereitschaft ist groß, Kopfsteinpflaster und dergleichen scheinen wenig zu stören trotz der meist ja eher schmalen Reifen.
Das wichtigste übrigens, und das ist in deutschen Verwaltungsköpfen noch nicht angekommen, ist die Selbstverständlichkeit, mit der der Radverkehr mitgedacht wird, also immer als gegeben vorausgesetzt ist. Ich habe nicht ein einziges Mal trotz der vielen Baustellen ein dänisches Äquivakent zu unserem Verkehrsschild *Radfahrer absteigen* gesehen. Eine Baustelle? Da wird überlegt, wo der Radverkehr entlanggeführt wird. Ein Bauschuttcontainer? Der steht nicht auf dem Radweg, im Gegenteil ist noch eine Art Extragerüst aufgebaut, über dem Radweg, an dem diese Schuttrutsche befestigt ist, die in den auf der Straße abgestellten Container führt. Ich weiß, wo in Rostock *immer* der Container steht.
Wir sind übrigens selbst nicht radgefahren, erstens wollten wir ja was sehen, und der Radverkehr in seiner Dichte sah schon so aus, als beanspruche er weite Teile der Aufmerksamkeit, und zweitens sah das alles sehr organisch aus, als wenn man das erstmal lernen müsste, da mitzuschwimmen. Es ist dann sicherlich großartig, aber für eine Woche Urlaub wollten wir das dann nicht.
Ein wichtiger Punkt am Ende, meine Vermutung, warum es in Dänemark funktioniert. Es gibt eine andere, gemeinsame Vorstellung von Gemeinwohl. Es sind auch dort nicht alles nur Heilige, aber ich habe das Gefühl, dass die Grundstory ist, dass man füreinander sorgt und aufeinander achtet. Es ist eine freundliche, nicht eine feindselige Grundstimmung, in der man sich dort bewegt. Das ist sehr angenehm.